Die zwei Gesichter von Windows 8: Windows Store Apps vs. Desktop

21. Mai 2013

Wie ich im letzten Beitrag Schlechtes Marketing und Unverständnis beleuchtet habe, kommt Windows 8 mit zwei Gesichtern – einem alten (Desktop) und einem neuen (Windows Store Apps) – daher. Und Microsoft macht nicht wirklich eine gute Figur darin, den Anwendern das neue Gesicht nahezubringen, oder gar ihnen die Motivation offenzulegen.

Das Resultat ist entsprechend: Tests, die Windows 8 auf dem klassischen PC betrachten, erklären reihenweise, dass die neuen UI-Paradigmen auf diesem umständlich sind und den Anwender verwirren. Tests von Windows 8 auf Touch-Devices weisen auf die Unzulänglichkeiten von klassischen Anwendungen hin. Und jeder fragt, warum das so sein muss.

Die Antwort ist im Grunde ganz einfach – nur scheinbar nicht offensichtlich: Microsoft möchte Geld verdienen, auch in Zukunft.

Geld verdienen, indem sie die Anwender verwirren? Wie passt das zusammen?

 

Zunächst muss man verstehen, was Microsoft mit Windows 8 eigentlich gebaut hat…

Wichtig ist, dass es sich bei Windows Store Apps („Metro“, „modern UI“) und Desktop (“Classic”) tatsächlich um zwei Systeme handelt.

Das typische Bild, das Microsoft einem Entwickler vorlegt lässt sich vereinfachen zu drei groben Blöcken:

  • Als gemeinsamer Unterbau der Kernel (MinWin).
  • Darauf aufbauend die Win32-basierte alte Welt – zu der auch COM und .NET gehören – der Desktop Anwendungen.
  • Ebenfalls darauf aufbauend, aber als unabhängige zweite Säule daneben: Die neue Welt der Windows Store Apps.

Win8_Architecture_Overview

Microsoft hat hier im Grunde das Kunststück geschafft, auf dem gleichen Kernel zwei Betriebssysteme parallel hochzuziehen und gleichzeitig auf dem Rechner laufen zu lassen.

Und darin liegt die Crux:

  • Desktop Anwendungen sind – jetzt und in Zukunft – für den Desktop gedacht. Maus- und Tastaturbedienung inklusive.
  • Windows Store Apps sind für Touch-Devices gedacht. Punkt.

Oder – um es noch deutlicher zu machen – andersherum:

  • Man kann Desktop-Anwendungen auch auf Touch-Devices laufen lassen 
    – aber das ist nicht ihre Bestimmung!
  • Windows Store Apps auf dem Desktop laufen zu lassen mag zwar ganz gut funktionieren
    – aber dafür sind diese Apps nicht gedacht!

Jetzt schaut sich der Leser sein Windows 8-System an und stellt fest, dass das bunt gemischt ist. Doch ein Widerspruch?

Die Frage nach dem Warum…

Wenn Startbildschirm und Windows Store Apps für Touch-Devices gedacht sind, und Desktop-Anwendungen für klassische PCs, warum dann ein Betriebssystem? Warum der (sicher nicht geringe) Aufwand und warum dem Anwender diese krude Mischung zumuten?
Warum nicht – wie es Apple und Google vorgemacht haben – zwei getrennte Wege gehen?

Ganz einfach: Microsoft hat nicht primär das Interesse, dem Anwender das Leben leicht zu machen. Microsoft ist eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Unternehmung, die nicht aus altruistischen Motiven handelt. (Das ist nicht per se schlecht, man sollte sich dessen nur bewusst sein.)

Gewinn – bzw. die dafür notwendigen Marktanteile – ist aber in absehbarer Zukunft nicht mit dem klassischen Desktop-Umfeld zu machen. PC-Verkäufe stagnieren oder gehen zurück, der Wachstumsbereich sind mobile Geräte, also Tablets und Smartphones. In diesen Bereichen muss Microsoft folglich einen Fuß in die Türe bekommen.

Stellt sich die Frage: Wie?

Microsoft und andere haben über die Jahre versucht, klassische Desktop-Betriebssysteme auf Touch-Devices zu bringen – mit mäßigem Erfolg. Erst das iPad und später Android haben gezeigt, dass das Betriebssystem für Touch-Devices andere Eigenschaften haben muss (z.B. Stromverbrauch optimieren) und dass die Bedienparadigmen andere sind, man also das UI nicht einfach übernehmen kann. Das hat dazu geführt, dass der Markt von iPad und Android dominiert wird und Microsoft ein Spätstarter ist.

Hätte Microsoft den gleichen Weg eingeschlagen wie Apple und Google und ein Touch-Device-optimiertes Betriebssystem separat neben dem normalen Windows entwickelt, wäre die Konsequenz ziemlich absehbar gewesen:

Dieses Touch-Betriebssystem wäre ein weiteres Nischenprodukt!

Es gäbe keine Software dafür, und die Windows-gewohnten Anwender müssten sich in das neue System genauso einarbeiten, wie in die Systeme der Konkurrenz. Ergo hätten die Anwender keinen Grund gehabt, diesem Nischenprodukt den Vorzug vor den Systemen der Konkurrenz zu geben, die Hardware-Hersteller hätten keine oder kaum Geräte gebaut, die Entwickler keine Software geschrieben.

Stattdessen verheiratet Microsoft den Touch-Betriebssystem-Aspekt mit dem bestehenden System – immerhin kein ganz triviales Unterfangen.

Die Konsequenzen daraus sind breit gefächert: Microsoft muss sich keine Sorgen machen um…

  • … die Verbreitung, denn das System läuft auf allen gängigen Rechnern.
  • … die Unterstützung seitens der Hardware-Hersteller, denn für diese ist das vergleichsweise risikolos.
  • … die Unterstützung seitens der App-Entwickler, denn eine App zu schreiben, die über das gesamte Windows-Ökosystem hinweg eingesetzt werden kann, ist keine schlechte Motivation.
  • … den Einsatz in Unternehmen, denn das System integriert sich nahtlos in die bestehende Infrastruktur – ganz im Gegensatz zur Konkurrenz.

Doch Microsoft geht noch einen Schritt weiter und zwingt dem Anwender die Touch-Aspekte auf seinem ganz normalen PC auf, was für diesen eher von Nachteil ist.

Hier kommt der vielleicht wichtigste Grund zum Tragen:

  • Die Anwender werden implizit auf das neue System geschult!

Auch wenn das sicher seine Zeit brauchen wird: Irgendwann werden die Anwender Windows 8 kennen, wissen wie sich Windows Store Apps bedienen lassen und sich an die zwei Welten – insbesondere auch die neue Welt der Windows Store Apps – gewöhnt haben.

Wenn dann ein Anwender ein Tablet sucht, wählt er dann das iPad oder ein Android? Oder wird er das Gerät wählen, auf dem das gleiche Betriebssystem läuft, das er jeden Tag im Büro verwendet? Mit der gleichen Software?
Die Antwort wird vielleicht nicht immer Windows 8 lauten, aber deutlich öfter, als sie “Ein Touch-Betriebssystem von Microsoft neben Windows” gelautet hätte.

 

Für den umgekehrten Fall – Desktop-Anwendungen auf Touch-Devices laufen zu lassen – gibt es ebenfalls gute Gründe: Es geht nicht darum, dass man diese Software auf dem Device laufen lassen will – dafür wird sie nie optimal geeignet sein – sondern darum, dass man es eben manchmal muss.

Es gibt sehr viel Software die man – aus unterschiedlichen Gründen – niemals als App bekommen wird. Ob das Individualsoftware im Unternehmen ist, Photoshop für den Hobby-Fotographen oder Visual Studio für den Entwickler. Dazu noch der Zoo an USB-Geräten, insbesondere wenn sie Treiber mitbringen oder Software voraussetzen, die man sonst nicht einsetzen könnte.

Die Möglichkeit, diese Software auf dem Tablet laufen zu lassen, entscheidet vielleicht einmal darüber, welches Device ich mit mir herumtrage. 

 

Alles in allem…

Verkürzt ausgedrückt fängt Microsoft mit dem “2 Systeme in einem”-Ansatz die Business-Kunden ein, für die Bestandsschutz und Integration in die Unternehmensinfrastruktur von Bedeutung sind. Und mit dem “Schulen” der Anwender sichern sie ihre Zukunft im Endkunden-Markt.

Wenn man sich diese Motivationslage klar macht, dann machen auch viele sonst eher unverständliche Dinge plötzlich Sinn. Und wenn Microsoft auch morgen noch gute Geschäfte machen will, haben sie meines Erachtens genau den richtigen Weg eingeschlagen – womöglich den einzigen Weg, wenn sie nicht irgendwann das Schicksal anderer ehemaliger Marktführer teilen wollen, die heute keine Bedeutung mehr haben.

 

Diese Betrachtung ist für mich als Anwender nicht gerade konziliant, und sie lässt Microsoft auch nicht unbedingt sympathisch erscheinen. Aber letztlich handeln auch Apple, Google und alle anderen Anbieter nicht anders.

Und selbst wenn Microsoft das letztendlich aus Eigennutz tut – am Ende des Tages verdient auch Microsoft sein Geld damit, mir einen Mehrwert zu bieten. Und unter dem Strich tun sie das mit Windows 8.

Man könnte also durchaus sagen, dass Windows 8 Vorteile für alle Beteiligten – Microsoft, die Hard- und Software-Industrie, und den Anwender – bietet. Jetzt muss Microsoft das nur noch so verkaufen, statt sinnlos Teenies mit dem Surface tanzen zu lassen… .

PS: Das alles ist natürlich nur meine ganz persönliche Interpretation der Dinge…