Mit Werten führen

8. November 2010

Im Anschluss an unserer Technical Council zum Thema Silverlight 4 entstand eine Diskussion über die Fragestellung "Was macht ein Team aus?" und wie man als Führungskraft damit umgeht.

Ausgangspunkt der Diskussion war die These, dass ein (Projekt-)Team natürlich ein definiertes Ziel hat. Aber – und das ist entscheidend – dieses in der Regel von außen vorgegebene Ziel sei in der Regel nicht die Grundlage des „Wir-Gefühls“. Stattdessen würde der Team-Zusammenhalt durch andere Gemeinsamkeiten entstehen. Das könne so ziemlich alles sein: gleiche Hobbies genauso wie ein gleichartiger Qualitätsanspruch oder jegliche andere Gemeinsamkeit. Entscheidend dafür, dass aus einer losen Ansammlung von Individuen ein funktionierendes Team wird, sei dabei eben dieses einende „Etwas“.

Macht man sich diese These zu Eigen, dann lassen sich viele Situationen im Projektalltag erklären, in denen das formal vorgegebene Ziel dem Team offensichtlich nicht so wichtig ist, wie es z. B. dem Projektleiter aus seiner Verpflichtung heraus sein muss. In diesen Fällen besteht offenbar ein Zielkonflikt zwischen dem formalen Ziel und dem „Etwas“, welches das Team im Innersten definiert.

Diese Erkenntnis führte zu einer weiteren interessanten Fragestellung: Kann oder soll eine Führungskraft Teil des Teams sein? Denn der These folgend müsste sie dafür ja das "Etwas" mit dem Rest des Teams gemeinsam haben aber trotzdem die Zielerreichung sicherstellen. Interessenskonflikte sind hier fast unvermeidlich, schließlich ist es Aufgabe der Führungskraft die Zielerreichung des Teams zu gewährleisten.

Meine persönliche Erfahrung als Führungskraft und Projektleiter ist, dass ich nur dann erfolgreich sein kann, wenn ich ganz bewusst mit mindestens einem Bein im Team stehe: Nur wenn ich weiß, was neben dem offiziellen Projektziel der gemeinsame Nenner des Teams ist – dieses Etwas, der Antrieb, die Motivation – kann ich verstehen oder sogar frühzeitig absehen wie ein Teammitglied reagieren wird. Und nur wenn ich das Verhalten verstehe, kann ich mit Erfolg versuchen, einen möglichen Interessenskonflikt zu lösen, bevor daraus ein Problem entsteht.

Auf der anderen Seite muss eine Führungskraft auch den übergeordneten Kontext verstehen und akzeptieren, um das Team innerhalb der Organisation einzubetten. „Das andere Bein“ muss also zumindest teilweise außerhalb des Teams bleiben, alleine schon um die Objektivität zu wahren.

Doch ist es wirklich richtig, dass sich ein Team (nur) über das "gewisse Etwas" definiert? Prinzipiell halte ich das schon für richtig, wenn auch für zu kurz gegriffen: ein Team in unserem Projektalltag ist letztendlich meistens eine mehr oder weniger freiwillige Gemeinschaft: Wer dort nicht sein will, bleibt nur selten lange. Doch betrachtet man den Begriff "Gemeinschaft", so wird klar, dass dieses "Etwas" vielleicht doch nicht so einfach erfassbar ist wie ein gemeinsames Interesse.

Ferdinand Tönnies folgend ist eine Gemeinschaft die willentliche (d.h. bewusste) Bejahung eines Zusammenschlusses von Individuen. Doch was ist es wirklich, was diesen Zusammenschluss aufrecht erhält? Ich glaube, dass eine der grundlegendsten Voraussetzungen ein gemeinsames Wertebild ist. Viel mehr als gemeinsame Interessen oder gemeinsame Ziele ein Team formen können, sind es meiner Meinung nach die gemeinsamen Werte, die ein Team letztendlich auch nachhaltig zusammenhalten.

Die Soziologie lehrt uns, dass aus Werten (Verhaltens-)Normen abgeleitet werden. Damit lässt sich auch direkt die Verbindung zu der bekannten Theorie der Gruppenbildung nach Tuckman herstellen:

Forming – Storming – Norming – Performing

Das bedeutet letztendlich, dass sich ein Team / eine Gemeinschaft bereits während der Entstehung auf gemeinsame Werte und Normen verständigt hat. Die Werte sind also Teil des Fundaments, über das sich das Team definiert. Hat also eine Führungskraft diesen Prozess nicht von Beginn an mit begleitet und gestaltet, sondern übernimmt diese Funktion erst zu einem späteren Zeitpunkt, dann kann es mit dem bestehenden Team nur funktionieren, wenn die Führungskraft die Werte und Normen teilt – sprich: Teil der Gemeinschaft wird.

Damit ist die Frage, ob eine Führungskraft Teil des Teams sein kann oder soll, eigentlich bereits beantwortet: sie muss zwangsläufig Teil des Teams sein.

Denn teilt die Führungskraft die Werte nicht – ist sie also nicht Teil des Teams – dann ist die logische Konsequenz, dass sie als Bedrohung für die Gemeinschaft vom Team abgelehnt wird. Da die Gemeinschaft auf Freiwilligkeit beruht, ist in einer solchen Situation häufig zu beobachten, dass sich das Team nach und nach auflöst. Anders ausgedrückt: das Team muss letztendlich neu formiert werden ("Forming"), um nach dem "Storming" eine erneute "Norming" Phase zu durchlaufen – bevor irgendwann wieder die gewünschte "Performing" Phase einsetzt. Ein neues Team entsteht – geprägt von den Werten der neuen Führungskraft.

Wie beeinflusst diese Erkenntnis meinen beruflichen Alltag?

Erfreulicherweise ist dies Erkenntnis nicht wirklich neu für mich. Aber auch auf Grund dieser Erkenntnis weiß ich, warum ich seit mittlerweile fast sechs Jahren bei der SDX AG bin (und mit einigen Kollegen eine noch längere Historie habe): Wir teilen dieselben Werte, die auch das Leitbild der SDX AG geprägt haben – Professionalität, Leidenschaft, die Orientierung am gemeinsamen Erfolg und die Wertschätzung der Individualität der eXperts.

Dadurch fällt es uns besonders leicht, mit unseren direkten Kollegen auch ad-hoc Teams zu bilden und erfolgreich zusammenzuarbeiten – wir nennen das dann „vernetzte eXperts“.

Zum anderen bin ich mir dadurch aber auch darüber bewusst geworden, dass mein Erfolg als Führungskraft bzw. Projektleiter maßgeblich davon abhängt, wie sehr ich die individuellen Wertevorstellungen meiner Kollegen aber auch der Kunden-Mitarbeiter im Projekt respektiere und beachte. Natürlich: Wir alle sind Menschen, d.h. nicht immer gelingt das so wie man es sich wünscht und nicht immer wird es vom jeweiligen Gegenüber so wahrgenommen wie es gemeint war – speziell wenn man als Projektleiter auch mal unpopuläre Maßnahmen ergreifen muss. Schnell wird das dann als Verstoß gegen die Werte verstanden.

Wichtig ist aber vor allem, dass man im Team ein Klima des Vertrauens schafft, in welchem grundsätzlich die Überzeugung herrscht, dass man die gleichen Werte teilt und in welchem Missverständnisse oder Fehler auch offen angesprochen und ausgeräumt werden können. Ohne Fehlerkultur kann es meiner Meinung nach keine Wertekultur geben – und damit in letzter Konsequenz auch kein erfolgreiches Team.

Wenn man wie ich als externer Projektleiter in der Regel beim Kunden keine disziplinarische Funktion bekleidet, dann bleibt als einzige Option der Führung die Führung durch Überzeugung, durch Einflussnahme – die laterale Führung. Da sich mehrere meiner Kollegen intensiv mit diesem Thema beschäftigen, werden Sie sicher bald Gelegenheit haben etwas mehr darüber in unserem Flurfunk zu lesen.